Beziehungsstatus Bordeaux 2011: «Es ist kompliziert».

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Der kleine Einblick in einen für mich bis jetzt kaum bekannter Bordeauxjahrgang. Klar, denn ich mag keine komplizierten Beziehungen.

Inventar Bordeaux 2011: 0

Ich gebe es zu. 2011 Bordeaux glänzt in meinem Weinkeller durch Abwesenheit. Einerseits subskribiere ich nie, und andererseits zielt mein önologischer Jagdinstinkt eher Richtung reifere Jahrgängen und kaufe gezielt nach. Somit war ich gezwungen meine beiden Flaschen für unseren Corona-konformen Eschenbacher Waldspaziergang extern zu beschaffen.

Jahrgangsverlauf

Der ungewohnt kühle Sommer und ein regnerischer September verhinderten eine ausgewogene Reife und erschwerte den optimalen Lesezeitpunkt. Kleinbeerige Trauben mit viel Schalenanteil erschwerten die Arbeit der Winzer und sorgten für hohe Tannin- und Säurewerte und natürlich geringere Mengen. Somit traf die erhoffte Preissenkung gegenüber den Rekordjahren 2009 und 2010 nicht ein und der Jahrgang blieb immer im Schatten seiner zwei bombastischen Vorgängerjahren. Viele 2011er gibt es heute immer noch günstiger als damals bei der Subs.

Kleiner Einblick in ein kleines Jahr?

Klar, unsere Mini-Horizontale gibt nur einen kleinen Einblick nach zehn Jahren. Ich degustiere Weine gerne in diesem Alter. Es ist eine relevante Einschätzung. Die Weine erwachen langsam aus ihrer Verschlussphase. Sollten von Frucht- und Barriquearomen strotzen und Volumen zeigen. Begeistern mich zehnjährige Weine, kaufe ich wo möglich nach.

Überzeugender 2011er: Chateau Palmer

Ich will 2011 nicht als grundsätzlich schwaches Jahr abtun. Die kleinen Jahrgänge versprechen frühreife, charmante Wein (1991, 1992, 2007 und andere). Die bereiten jung richtig Spass. 2011 sind schwierig zu degustieren. Durch ihre massive Säure und kernige Gerbstoffe erinnern sie mich an 2002 oder 1993. Marketingtechnisch spricht man in diesen Fällen gerne von einem «klassischen» Jahrgang. Das ist genau so ein Unsinn, als wenn man 2009 als «modern» bezeichnet. Der Witterungs- und Reifeverlauf im Rebberg macht jedes Jahrgang individuell. Und das ist ein Teil, was unsere Leidenschaft für grosse Weine so spannend macht.

Ob der 2011er noch die Kurve kriegt, ist schwer zu sagen. Ich versuche diesen Bericht in nächster Zeit noch ein paar weiteren Notizen zu ergänzen. Eins ist auf jeden Fall klar. Es bleibt kompliziert.

2011 Chateau Le Queyroux ‚Le Joyau‘ Blaye Cotes de Bordeaux

85

trinken – 2025


Blaubeerig, fruchtiges Bouquet mit etwas Trester und leicht «unplatzierte» Säure. Im Gaumen süffig, zugänglich. Gastronomisch kommt der sicher gut an zu günstigem Preis.

2011 Chateau Calon-Segur, Saint-Estephe

90+

trinken – 2035


Röstiges, barriquedominiertes Bouquet. Rauch, Tabak. Wirkt edel, aber es besteht ein Fruchtdefizit. Im Gaumen zeigt er Substanz, Kraft und Tiefgang. Aber alles noch blockiert durch eine gewisse florale, grüne Note und endet mittelschwer. Calon Segur produzierte 2011 nur 50% der Normalmenge des Grand Vin.  

2011 Chateau Leoville Poyferre, Saint-Julien

92

2025 – 35


Recht zugängliches Bouquet. Viel Zedern, Tabak, Kaffee und Pflaumen. Guter Struktur, kräftig und mittellang. Die Gerbstoffe sind etwas mehlig. Für Poyferre, der normalerweise mit zehn Jahren kaum Zugang bietet, ist dieser 2011er schon recht präsent.

2011 Chateau Pontet-Canet, Pauillac

89+

2025 – 40


Defensiv, verschlossenes Bouquet. Pflaumen, Zedern, Tabak. Mit mehr Luft kommen dunkelbeerige Aromen, aber alles in dezenter Form. Mineralisch, zusammengezogen im Gaumen. Dicht, extrahiert und trocken im Abgang. Wenig Ausstrahlung. Kraft ist da. Vielleicht geht ja noch was.

2011 Chateau Mouton-Rothschild, Pauillac

92+

2025 – 40


Süsses, extrovertiertes Mouton Bouquet. Mit cremigen Barriquenoten nach Mocca, Krokant. Dartunter eine gute schwarbeerige Struktur mit Gewürzen und erdigen Aromen. Im Gaumen noch nicht auf «Premier Eleganz», sondern eher mit fordernden Gerbstoffen ausgestattet. Gute Substanz, aktuell etwas kantig. Wird bestimmt noch feiner und zugänglicher.

2011 Chateau Palmer, Margaux

93+

trinken – 2035


Offenes, attraktives blau- und schwarzbeeriges Bouquet. Etwas Schoko und florale Aromen. Geschmeidiger Holzeinsatz. Im Gaumen gewinnt der Merlot Charmes und verleiht dem Wein eine milde Struktur. Ein sehr gut gelungener Palmer unter schwierigen Verhältnissen.  55% Merlot, 45% Cabernet Sauvignon

2011 Chateau Canon la Gaffeliere, Saint-Emilion

91+

trinken – 2035


Offenes, pflaumiges, erdiges Bouquet. Rauch, Speck, dunkle Schokolade, Pfeffer und Tabak. Im Gaumen zugänglich, ausgewogen und bereits in erster Trinkreife. Wirkt etwas alkoholisch. Der 2011er fehlte an unserer kleinen Vertikale mit Stephan von Neipperg.

2011 La Mondotte, Saint-Emilion

92

trinken – 2035


Neippergs 100% Merlot. Offenes, sauberes Merlot Bouquet mit markantem Holzeinsatz. Süss, geschmeidig im Gaumen. Blau- und dunkelbeerig mit Krokant, Kokos und Schoko. Gute Konzentration und für 2011 im Gegensatz zu vielen anderen Weinen seidig und geschliffen.

2011 Chateau Pavie, Saint-Emilion

88+

2025 – 40


Offenes, röstiges Bouquet mit Nougat, Kokos und Kaffee. Die Frucht ist bescheiden und im Gaumen bricht er etwas ab. Die Tannine sind mehlig und die Säure nicht stimmig zum eher mittelkräftigen Körper. Alles endet recht trocken und extrahiert. Schwierige Zwischenphase. Ob er sich auffangen kann?

2011 Chateau Peby Faugeres, Saint-Emilion

92

trinken – 2035


Rot- und blaubeerige Frucht. Mittlerer Holzeinsatz, etwas Vanille, Caramel. Schöner Merlotanzeiger. Höhere Säure als gewohnt bei Peby, doch alles kommt sehr frisch daher und genug Kraft da, um dies zu tragen. Gut gelungen.

2011 Chateau Angelus, Saint-Emilion

90+

2025 – 40


Würzig, defensives Bouquet. Pflaumen, Torf, Rauch. Beginnt druckvoll, intensiv. Wenig Entwicklung. Etwas mehlige Gerbstoffe und harte Säure. Blockiert sich momentan selber. Sehr schwierige Phase. Abwarten.

2011 Chateau Figeac, Saint-Emilion

91+

trinken – 2035


Offenes Bouquet mit guter Frucht und erdigen Aromen. Gewürze, Torf und Tabak. Die Barriqueröstung ist aktuell etwas dominant (Vanille, Brotkruste, Caramel). Im Gaumen angenehm mit mittlerer Konzentration. Klar, auch hier sind grüne Aromen spürbar, doch ein gewisser Trinkspass wird sich relativ früh einstellen.

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Michael Schütte am 14. Februar 2021 um 9:20

    Mini-„Vertikale“? Wohl ein Schreibfehler, das ist doch eine Horizontale….

    • Veröffentlicht von Sebastian Schwander am 14. Februar 2021 um 10:09

      Danke für den Hinweis, und fürs genau lesen. Habe den Fehler korrigiert. Und wie gefällt Ihnen der Beitrag sonst?

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