Zu Besuch beim Altwein Miraculix

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Achim Becker ist für mich der Miraculix der alten Weine. Ein önologischer Genuss-Druide. Im Gegensatz zum gallischen Original ist Beckers Zaubertrank Rezept nicht geheim. Es besteht aus: Authentizität, Leidenschaft und ein feines Gespür für den perfekten Zeitpunkt.

Alle paar Jahre reisen ein paar Schweizer Weinfreaks nach Düsseldorf, ins Epizentrum der alten Weine. Gesammelt, aufbewahrt und zum richtigen Zeitpunkt geöffnet von unserem Weinfreund und Wineterminator Achim Becker. Raritätensammler ist der falsche Begriff, denn Achim entdeckt Weine die erst Jahrzehnte später zu den gesuchten Raritäten werden. Hochdotierte Weine, aber auch Alltagsflaschen, denen man niemals eine solche langjährige Reifeentwicklung zutraut hätte.

Achim Becker ist für mich der Miraculix der alten Weine. Ein önologischer Genuss-Druide. Im Gegensatz zum gallischen Original ist Beckers Zaubertrank Rezept nicht geheim. Es besteht aus: Authentizität, Leidenschaft und ein feines Gespür für den perfekten Zeitpunkt. Was der Altwein Miraculix diesmal hervorzauberte lesen und sehen Sie hier.

Vielen Dank, lieber Achim, für den wunderbaren Abend.

Dein Jungwein-Idefix.

 

achim miraculix

Achim „Wineterminator, Altwein Miraculix, Genuss Druide“ Becker

 

 

 

Die Probe fand im Restaurant Berans am Kai in Düsseldorf statt. Die Weine wurden blind serviert.

 

Fr 1988  Domaine de Chevalier Blanc, Pessac-Leognan  17/20  tr – 2025
Fr  1989 Domaine de Chevalier Blanc, Pessac-Leognan  -/-  Kork

 

Leider korkte der 1989er, dafür überzeugte der eigenwillige 1988 Domaine de Chevalier Blanc. Intensiver, molliger weisser Bordeaux. Da ist wenig zu spüren von trockenen mineralischen Noten. Vanille, leicht ranzige Butter, Kokos, Bittermandeln und Bananen. Nussig, fett im Gaumen mit voluminösem Abgang. Lange dekantieren und nicht als Apérowein einsetzen!

 

Fr  1955 Domaine de Chevalier Rouge, Pessac-Leognan  18/20 austr.
Fr 1955 Chateau Haut-Bailly, Pessac-Leognan 17/20 vorbei

 

Wunderbar gealtert ist der terroirbezogene 1955 Domaine de Chevalier Rouge. Noch feine Pflaumennoten im Bouquet, welches vorwiegend von Tabak, Stroh, Leder und Zedern dominiert wird. Gute, feingliedrige Struktur. Etwas welk mit leicht pilzig, oxydativen Noten in der Nase kam 1955 Chateau Haut-Bailly daher. Dieses Altersmanko kompensierte er allerdings mit einem strammen Körper und guter Länge.

 

Esp  1928  Bodegas Age, Rioja  18.5/20  austr.
Esp  1939  Bodegas Age, Rioja  18/20 austr.

 

Dieser Flight ist typisch für Achims Planung. Solche „undefinierbaren“ Perlen überraschen uns immer wieder aufs Neue. Oder haben Sie schon jemals was von Bodegas Age gehört. Heute findet man den Wein in Supermärkten allerdings leider nicht die beiden vorzüglichen Jahrgänge hier. 1928 Bodegas Age, Rioja sehr reifem, verlockendem Bouquet. Sauerteigbrot, Rosinen, Jod, Jute und Leder. Im Gaumen voluminös mit einer betörenden Süsse ausgestattet. Grossartig auch 1939 Bodegas Age, Rioja. Er wirkte eher wie ein alter Cabernet. Recht rustikal, leichte Bitternoten, etwas Kirschen, Leder und Kalk. Das Lagerpotenzial alter Spanier ist enorm und begeistert mich immer wieder aufs Neue. Es müssen überhaupt nicht teure Raritäten sein. Das waren damals gut gemachte Alltagsweine.  

 

Fr  1900 Chateau Lafite Rothschild, Pauillac (Abf. Brandt & Co. München) 18/20  austr.

 

Achim hatte es angekündigt, und nach dem 1900 Mouton Rothschild, anlässlich unseres letzten Düsseldorfer Treffens galt es nun ernst für den legendären 1900 Chateau Lafite Rothschild. Helles braun. Port und Malz in der Nase. Rosinen, Datteln,  nasses Laub, Jute und Gewürze. Über diesen Aromen schwebte eine leichte Balsamico Wolke. Verständlich für das Alter und das Niveau (MS). Die Grösse des Weins zeigt er im Auftakt. Da kommt noch ziemlich viel Schub daher. Filigran, elegant und geschmeidig. Endet mit leichten Sherry/Madeira Noten. 

 

 Fr 1920 Chateau Beychevelle, Saint-Julien  19.5/20 austr.
 Fr 1920 Chateau Margaux, Margaux  16/20  vorbei

 

Wenig Kredit hätte ich dem 1920 Chateau Beychevelle gegeben. Aber die Dinger kommen halt aus Achims Keller. Der weiss einfach, was einzukaufen ist, wie lange es gelagert werden muss und wann es Zeit für die Flaschen ist. Und der Zeitpunkt für diesen Beychevelle war schlichtweg perfekt: Edles Dörrfrüchte Bouquet, Schwarztee, Popcorn, Butter, Rauch. Eine fantastisch eingebundene Säure verleiht diesem fast 100jährigen Wein eine beeindruckende Frische. So sollte man alt werden! Daneben gab sich 1920 Chateau Margaux alle Mühe, wirkte aber deutlich müder, über dem Zenit und mit weniger Konzentration ausgestattet als Beychevelle. Wie sich die Zeiten ändern…

 

Fr  1926 Chateau La Lagune, Haut-Medoc  19/20  austr.
Fr 1926 Chateau Leoville-Las Cases, Saint-Julien 16.5/20  vorbei

 

Und gleich nochmals eine Riesenüberraschung aus einem seltenen Jahr. 1926 La Lagune. Dass dieser Wein nie ein Schmeichler ist war mir klar. Dass er allerdings über eine dermassen Alterspotenzial verfügt, überraschte mich dann schon. Wilde, animalische Nase. Teer, Leder, Moschus und Kräuter. Dazu Torf wie ein 12jähriger „intensiv geholzter“ Whiskey. Keine Spur von Frucht, ein Tier von einem Wein! Sehr schön präsentierte sich auch 1926 Léoville Las Cases. Mit defensivem Bouquet, feiner Mineralik, Leder und nassem Holz. Im Gaumen süsse Kandisaromen, etwas breit strukturiert und im Abgang am zerfallen. 

 

Fr  1955 Chateau de la Gardine Chateauneuf-du-Pape, Rhone 12/20 vorbei
Fr 1955 Chapoutier Hermitage Mas des Bessards, Rhone 18/20 austr.

 

1955 Chateau de la Gardine Chateauneuf-du-Pape meldete sich mit seiner zerfallenen Rosé Farbe aus dem Reich der Toten. Dafür zeigte sich 1955 Chapoutier Hermitage Mas des Bessards nach wie vor flott in Form. Sehr helles Granat; Süsse blau- und rotbeerige Aromen, Dörrfrüchte und Pfeffer. Recht „fleischig“ im Gaumen mit wunderbarer Länge und Balance.

 

Libanon 1970  Chateau Musar Gaston Hochar, Bekaa 19/20 austr.
Fr 1970 Chateau Fortia Chateauneuf-du-Pape Tete de Cru 20/20 austr.

 

Da hätten wir lange raten können, bis jemand auf Libanon getippt hätte… 1970 Chateau Musar. Wunderbar gereifter, eleganter Wein mit würzigem Bouquet, Tabak, Zedern und herrlich begleitend dunklen Beeren. Eleganter Körper. St. Julien Typ. Und dann daneben mein ganz persönlicher „Wein des Abends“. 1970 Chateau Fortia Chateauneuf-du-Pape Tete de Cru. Wunderbar zärtlich rotbeerige Nase. Waldbeeren, Himbeeren und Dörrfrüchte. Etwas Sultaninen, Pfeffer, Muskat, Streichholz und Kandis. Ein Ausbund an Eleganz, Balance und verspielter Leichtigkeit. Nicht alle am Tisch konnten meine Begeisterung nachvollziehen und so sammelte ich Schluck für Schluck ein und konnte diesen Traumwein über längere Zeit verfolgen. Bevor ich den Text hier geschrieben habe, fand ich in Frankreich zwei Flaschen davon. Habs gewagt und bestellt. Die Flaschen bleiben reserviert, bis Achim mal wieder die Schweiz bereist… Werde ich nun zum „Altwein-Idefix“?

 

Fr  1970 Chateau Latour, Pauillac 19.5/20 tr – 2030
Fr 1971 Chateau Latour, Pauillac  16/20 vorbei

 

Ich war blind beim 82er Mouton, und damit kann ich und sicher auch 1970 Chateau Latour gut leben. Der Wein wurde vier Stunden dekantiert und das tat ihm gut. Zedern, Cassis, Trüffel, Leder. Im Gaumen eher „leicht“ für Latour (daher wohl auch der Tipp auf Mouton). Absolut stimmiger, grosser Wein in phänomenaler Trinkreife. Sein Nachfolger hätte hier für die preisgünstige Alternative stehen sollen, doch dies schaffte der welke, leicht oxidierte 1971 Chateau Latour leider nicht. Allenfalls gibt es bessere Flaschen, daher ist die Bewertung mit Vorsicht zu geniessen.

 

RSA  1972 KWV Roodeberg Red, Western Cape 17.5/20 austr.
RSA  1975 Nederburg Private Bin R103 Cabernet Sauvignon – Shiraz, Western Cape 18.5/20 austr.

 

Dann gings runter. Nicht mit der Qualität, sondern mit der Herkunft der Weine. Ans Kap der guten Hoffnung. Ein Duo von zwei der grössten Produzenten Südafrikas. 1972 KWV Roodeberg Red ist ein Verschnitt aus verschiedenen Trauben, welche die Kooperative von verschiedenen Winzern einkauft. KWV Weine sind immer günstige Alternativen und überall in Südafrika zu finden. Niemand würde diese Weine 40 Jahre lagern…. Niemand? Doch da gibt es jemand in Düsseldorf…. Granat; sehr reife Aromatik, süsse, cremige Nase. Im Gaumen leicht portig, immer noch präsente Säure und recht rustikal strukturiert. Nach wie vor prima zu trinken. Das gleiche gilt für den Nederburg Private Bin R103 Cabernet Sauvignon – Shiraz, dem ich sogar noch einen Punkt mehr verleihe. Rauchig, mineralische Nase. Viel Gewürze, Jod und Lakritze. Druckvoll im Gaumen, intensiv und lang.

 

Por 1982 Casa Ferreirinha Barca Velha, Douro 18/20  tr – 2025
Fr 1982 Chateau Gruaud-Larose, Saint-Julien  -/- Kork

 

So, endlich 1982! Aber nicht Bordeaux – nein Portugal! Superstoff vom Feinsten: 1982 Casa Ferreirinha Barca Velha. Exotisch, frisches Bouquet. Nach wie vor dunkelbeerig, etwas Kräuter, Teebaumöl und Leder. Im Gaumen erdig, rustikal und hätte wohl ideal zum Serienpartner 1982 Chateau Gruaud Larose gepasst.

 

Aus  1985 Penfolds Grange 19/20 tr – 2030
Fr 1985 Guigal Cote Rotie La Mouline, Rhone 20/20 tr – 2025

 

1985 Penfolds Grange war ein einer Fülle und Wucht blind zu erkennen. Dazu die typischen würzigen Aromen, Teer, Harz, Jod, Oliven und Rosmarin. Dieser 30jährige Top Shiraz zeigt ein unglaubliches Volumen und scheint erst am Anfang seiner Trinkreife zu sein. 1985 Guigal Cote Rotie La Mouline zu begegnen ist wie der Blick auf den Heiligen Gral. Perfekte, reife, süsse blau- und rotbeerige Aromen. Rauch, Steichholz, Lakritze, Tabak, Gianduja, dunkle Brotkruste, Jod. Was für eine Komplexität! Mit jeder nasalen Begegnung werden neue Aromen freigesetzt. Samtig, elegante Struktur, traumhafte Balance und Länge. Willkommen im Wein-Olymp…

 

Fr  1990 Chateau L’Eglise-Clinet, Pomerol  19/20 tr – 2025
Fr 1989 Chateau Clinet, Pomerol 17/20? austr.

 

Für das spektakuläre Schlussfeuerwerk sorgte der anmutige 1990 Chateau L’Eglise-Clinet, mit blau- und schwarzbeerigen Aromen, Rauch, Kümmel, Kandis und feiner Mineralik. Dunkle Schokolade und beeindruckender Merlot Süsse. Der Wein wirkt nach wie vor sehr frisch und strahlt gutes Potenzial aus. Etwas schwer tat ich mich mit 1989 Chateau Clinet. Irgendwie konnte ich den Wein nicht verstehen. Zudem irritierten mich die vielen Lobhymnen am Tisch, insbesondere eines amerikanischen Weinkritikers, der meinte, dass wohl 100 Punkte für diesen 89er Clinet nicht mehr ausreichen würden… Es war zweifellos ein sehr guter Pomerol. Aber nicht ganz stimmig. Die Nase wirkte schon sehr fortgeschritten, mit dunkler Schokolade, Pflaumen, Eukalyptus und leichtem Essigstich. Im Gaumen ist der Wein noch nicht soweit und hinkt etwas hinterher. Schwer verständlich für mich, doch Achim hat davon noch ein paar Flaschen, für später….

 

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Rainer am 18. April 2016 um 7:08

    Eine umwerfende Weinprobe und ein toller Bericht, vielen Dank Baschi! Ich liebe Berichte von Weinproben, die gängige Vorstellungen (insbesondere meine eigenen) in Frage stellen. Jeder Weinfreund hat wohl seine persönlichen Vorlieben, z.B. in Bezug auf Regionen, Produzenten, Traubensorten und Jahrgängen. Auch ich. Und dann lese ich so einen Bericht und frage mich, ob ich eigentlich eine Vorstellung davon habe, wie gross und vielfältig die Weinwelt ist. Ich weiss praktisch nichts über magische alte Weine aus Spanien, Portugal, Südfrankreich, Südafrika, Libanon. Und es scheint, dass dies eher eine grosse als eine kleine Bildungslücke ist. Solche tollen Berichte inspirieren, selbst auf Schatzsuche zu gehen, mehr zu erforschen als nur die Spitze des Eisbergs 🙂 Liebe Grüsse, Rainer

  2. Veröffentlicht von Walter Meier am 12. April 2016 um 16:33

    Lieber Sebastian,
    auch ich bin ein grosser Fan von Achim Becker und lese seine faszinierenden Berichte stets mit grossem Vergnügen, was übrigens auch für Ihre Seite gilt. Dafür besten Dank, denn es ist ja sicher nicht immer einfach, bei solch umfassenden Tastings einen klaren Kopf zu behalten und alles zu notieren. Gibt es noch weitere interessante Blogs die Sie regelmässig lesen und empfehlen können ?
    Mit besten Grüssen
    Walter Meier

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