Grimms Wein-Märchen

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Eine gute Geschichte beginnt mit einem Glas Wein. In wiefern die Gebrüder Grimm im 19. Jahrhundert sich dem vergorenen Rebensaft hingezogen fühlten, kann ich nicht belegen. Doch ihre Sammlungen an Märchen und Geschichten faszinieren uns seit Generationen. Wir erzählen sie uns weiter und so werden sie Werke für die Ewigkeit. Marcel Grimm (kein leiblicher Nachkomme der berühmten Autoren..) erzählte ein paar Weinfreunden anlässlich seines 50. Geburtstags auch ein Märchen- Ein Wein-Märchen. In seiner Geschichte gibt es allerdings keine bösen Hexen, fiese Stiefmütter oder dunkle Wälder. In seinen Erzählungen herrscht Sonnenschein, Begeisterung und Genuss. Eine Geschichte nur mit Schneewittchens, Goldmaries und einer Frau Holle, welche die ganze Zeit Höchstwertungen aus ihrem Kissen schüttelte.

Hat ihren Märchenprinz längst gefunden: Beatrice Grimm mit dem Jubilar Marcel:

 
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Als Hauptdarsteller wählte Marcel den König aller Störköche, Werner Tobler. Er sorgte dafür, dass sich die Gäste nicht mit harten Lebkuchen vom Hexenhaus zufriedengeben mussten,  und eine gute Fee namens Bruno, welche beinahe stündlich allen Weinfreunden ihre önologischen Wünsche erfüllte. Bösewichte und Wölfe blieben der edlen Tafel fern und trotzdem entwickelte sich die Geschichte unglaublich spannend. Denn da traten Herrschaften von Weinriesen auf. Herzergreifend und unvergesslich. Und aus noch einem Grund ziehe ich Marcel’s Geschichte jene der Gebrüder Grimm vor: Marcel Grimm’s Weinmärchen sind wahr….

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Es war einmal…. (Serien offen, Weine blind)

 

1937  Dr. Barolet Henri de Villamont Gevrey Chambertin  16/20 vorbei
1959   Dr. Barolet Henri de Villamont Vosne-Romanée 18/20 austrinken

 

Im Kapitel 1 unseres Wein-Märchens wurden alte Erinnerungen an legendäre Düsseldorfer Weinabende wach. Der ebenfalls anwesende Wineterminator, Achim Becker, beschreibt Barolet als „Burgunder Wein Scout“, immer auf der Suche nach den besten Fässern für seine eigenen Abfüllungen. 1937 Dr. Barolet Henri de Villamont Gevrey Chambertin zeigte aber leider bereits deutliche überreife Aromen, gar etwas Essig, Glutamat und Jod. Darunter immer noch spürbar Rosinen und Plfaumen sowie Trester. Im Gaumen besser als in der Nase. Erinnert an Schneewittchens vergifteter Apfel… Deutlich besser in Form daneben 1959 Dr. Barolet Henri de Villamont Vosne-Romanée mit süsser, reifer, milder Nase. Pflaumen, Rosinen und Kirschen mit etwas Bittermandeln im Abgang. Sehr feine Struktur und schöne Länge.

 

1965  Beaulieu Vineyard BV Georges de Latour Private Reserve Cabernet Sauvignon, Napa Valley 13/20 vorbei
1965 Paul Avril Clos des Papes Chateauneuf-du-Pape, Rhone 17.5/20 austrinken
1965 Vega Sicilia Unico Gran Reserva, Ribera del Duero,  18/20 austrinken

 
Schwierig wurde es für Marcel Grimm auf der Suche nach guten Weinen aus seinem Geburtsjahr. Die Pechmarie schlug beim 1965 Beaulieu Vineyard BV Georges de Latour Private Reserve zu. Alte Beaulieu versprechen oft noch viel Genuss, diese Flasche war aber hinüber, oxidiert und hätte höchstens der Prinzessin als Alternative angeboten werden können. „Küss den Frosch oder trink diesen Wein!“ Toll dafür 1965 Paul Avril Clos des Papes Chateauneuf-du-Pape. Delikat, fleischige Aromen. Viel Gewürz, Kirschen und Leder. Der Gaumen ist leicht ausgezerrt aber lebendig. Etwas unreife Tannine im Abgang. Der „jüngste 50er“ der Serie war 1965 Vega Sicilia Unico Gran Reserva. Sehr süsses Bouquet, Caramel, Vanille, Zedern und Kräuter. Erdig, komplex und breit strukturiert mit fast portigem Abgang und massiver Säure. Wirkt etwas zu gedröhnt vom vielen Holz.

 

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1982  Chateau Gruaud-Larose, Saint-Julien  19/20 trinken – 2025
1982  Chateau Latour, Pauillac 19.5+/20 trinken – 2045
1982  Chateau Leoville-Las Cases, Saint-Julien  20/20 trinken – 2030
1982 Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande, Pauillac 20/20 austrinken

 

„Spieglein, Spieglein an der Wand, welcher ist der schönste 82er Bordeaux im ganzen Märchenland?“ Wie ein staunender Zwerg der zum ersten Mal Schneewittchen erblickt, sass ich vor dieser magischen Serie. 1982 Chateau Gruaud-Larose war blind zu erkennen. Blau- schwarzbeerige Grundaromatik. Typische Zedern-, Tabak- und Ledernoten. Dazu feine Kräuter und Rauch. Elegante Struktur und trotzdem die bodenständige, erdige St. Julien Art. Toller Wein! Wir bewerteten alle Weine blind und ich gab 1982 Chateau Latour „nur“ 19.5+/20. Granat; Dunkelbeerig, Zedern, Lakritze, Waldboden, Pilz. Dann ein unglaublich druckvoller Auftakt. Es kommt ein richtiger Aromenschub auf einem zu. Enorm stoffig, phänomenaler, kräftiger Körper. Ein Urmeter von einem Wein. Alles ist quasi im Überfluss da. Doch diese Flasche wirkte so jugendlich, dass mich der Gedanke nicht los lässt, ob sich die einzelnen Komponenten nicht noch intensiver vermählen können? Deshalb glaube ich, dass Latour 82 seinen Höhepunkt noch gar nicht erreicht hat… Unbestätigten Gerüchten zu Folge soll Rotkäppchen bereits damals auf dem Weg zur Grossmutter eine Flasche Latour im Korb dabei gehabt haben… Prost Wolf! 

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1982 Chateau Leoville-Las Cases war schlichtweg grossartig. Den erlebte ich noch nie in dieser perfekten Form (Bewertungen bis anhin immer 19+ und 19.5/20). Diesmal verdient er auf eindrückliche Art und Weise die Bestnoten. Cremig, frisches Bouquet. Süss, würzig, etwas Schoko, etwas Minze. Dazu passend Zedern und Leder. Jugendlich stoffig im Gaumen, reif und elegant. Dicht und länger im Abgang als Rapunzels Haarpracht. Und dann noch eine weitere Märchenfee: 1982 Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande. Das ist kein typischer Pauillac, nicht mal ein typischer Lalande… Das ist schlicht und einfach ein einzigartiger Wein. Wann schafft Lalande je wieder so was und was lief damals anders? Ausufernd, frisches, cremiges Bouquet. Cassis, Erdbeeren, frische Tannenäste, Gewürze, Praline, Kandiszucker und Malz. Im Gaumen hoch elegant, superfein strukturiert und mit bezaubernder Länge. Gehört Erotik in ein Märchen? Dann ist diese Lalande die Top Besetzung! Und Achtung: „Austrinken“ bedeutet nicht, dass jetzt alle panikartig in ihre Keller hetzen und die letzten Flaschen dieser 82er Prinzessin rausholen. Die Zeit reicht schon noch um mich vorher anzurufen…

 

1986  Chateau Gruaud-Larose, Saint-Julien   19/20 trinken – 2030
1986 Chateau Margaux, Margaux 16+/20 trinken – 2040
1986 Chateau Mouton Rothschild, Pauillac 19.5+/20 trinken – 2050

 

Im nächsten Kapitel blieben wir im Bordelais und näherten uns einem sehr unterschiedlichen 86er Trio an. Sehr überzeugend und nach wie vor ein spannender Kauftipp ist 1986 Chateau Gruaud-Larose. Immer noch dunkel in der Farbe. Mineralisch, schwarzbeerig, etwas Lakritze, Pfeffer und Leder. Voluminöser im Gaumen als bei früheren Begegnungen. Trinkreif und elegant mit prächtigem Potenzial für ein langes Leben. Wie lange das Leben für 1986 Chateau Margaux dauern muss bis aus der Pechmarie eine Goldmarie wird weiss ich nicht. Aber in jedem Märchen braucht es einen Bösewicht. Ob nun Stiefmutter oder böser Wolf – dieser Margaux passt auf beides zu. Kein Wunder, dass einzelne Gäste ihn als fehlerhaft oder gar mit korkig betitelten. Er zeigt sich völlig verklemmt. Zeigt wenig Aromen, etwas Teer, Eukalyptus aber wenig Frucht. Auch im Gaumen kantig, grantig mit Säure- und Gerbstoffüberhang. Da hofft man, dass sich dieser Margaux im (Auktions) Wald verirrt und nie mehr zurück findet.

Jederzeit willkommen ist dagegen 1986 Chateau Mouton Rothschild. Ein Prachtswein mit enormer Kraft und Intensität. Dunkelbeerig, erdig, süss. Viel Zedern, Tabak und Rauch. Viel jugendliche Aromen. Im Gaumen ist er jetzt zugänglicher, aber noch nicht richtig reif. Ähnliches Phänomen wie beim 82er Latour weiter oben. Der Wein war sehr lange dekantiert. Das hilft den Aromen aber es trocknet auch die Tannine aus. Vielleicht hat ihm dies den halben Punkt gekostet.

Ueberigens, liebe Leserinnen und Leser: Sie können sich ruhig mal dazwischen verwundert die Augen reiben, bevor es weiter geht. Denn auch das war noch nicht das letzte Kapitel. Der Weg durch den Märchenwald führt uns jetzt zu ein paar 90er Bordeaux:

 

1990  Chateau Latour, Pauillac  19/20 trinken – 2025
1990 Chateau Lynch-Bages, Pauillac  19/20 trinken – 2020
1990 Chateau Montrose, Saint-Estephe 20/20 trinken – 2030
1990 Chateau Pichon-Longueville Baron, Pauillac (Jeroboam) 19/20 trinken – 2020

 
1990 Chateau Latour ist jetzt fraglos reif. Da muss auf nichts mehr gewartet werden. Würzig, blau- schwarzbeeriges Bouquet, Brotkruste, etwas Peperoni, Lakritze und Pfeffer. Rund im Gaumen, viel Schmelz mit schönem Tiefgang und bezaubernder Eleganz. Eher ein femininer Latour. Auch auf der filigranen Seite präsentiert sich 1990 Chateau Lynch-Bages. Dekadent, leckeres Bouquet. Pflaumen, Cassis, Vanille, Nuss, Bittermandeln und Schoko. Im Gaumen zärtlich fein strukturiert, süss aber nicht mit besonders viel Tiefgang ausgestattet. Dafür ein betörender Spasswein. Wenn Sie auf Spass und Gehalt (gilt für Wein-Volumen wie Portemonnaie-Volumen) stehen, dann gönnen Sie sich eine Flasche 1990 Chateau Montrose. Das ist wohl inzwischen das Beste, was es aus diesem legendären Bordeaux Jahr gibt. Erdiges Bouquet. Teer, Caramel, Kräuter, Minze, Schwarztee. Wunderbar unterlegt mit dunklen frischen Beeren. Im Gaumen zupackend, dicht, intensiv mit einer dramatischen Tiefe und Länge ausgestattet. Dieser Wein verbindet die klassische rustikale Montrose Art perfekt mit der Eleganz und Erotik des 90er Jahrgangs.

 

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Als Tischwein(!) begleitete uns den ganzen Tag 1990 Chateau Pichon-Longueville Baron aus der Jeroboam Flasche. Diese perfekte, frische Grossflasche zeigt den 90er Baron in seiner leckeren, röstig, offensiven Art, wie viele Nomalflaschen vor zehn Jahren daher kamen. Rubin; Cassis, Pflaumen, Feuerstein, Lakritze, Rauch. Saftig, voluminös im Gaumen. Super integrierte Säure, kräftiger Abgang und tolle Länge. Diese Jeroboam hätte noch 20 Jahre gehalten… hätte. 

1988  E. Guigal Cote Rotie La Landonne, Rhone  20/20  trinken – 2030
1988 E. Guigal Cote Rotie La Mouline, Rhone 20/20 trinken – 2030
1988 E. Guigal Cote Rotie La Turque, Rhone  20/20 trinken – 2025

 

Als ich vor einem halben Jahr an der „In Love with Syrah“ Probe, die drei 88er Lala’s verlassen habe, streute ich heimlich Brotkrümel, in der Hoffnung diesen drei Zauberweinen jemals wieder zu begegnen. Und siehe da, das Rhone Traumtrio steht erneut vor mir. Es sind Nuancen, durch welche sich die drei Syrah Schönheiten unterscheiden. Was mich am meisten beindruckt ist erneut die Aromatik und mit welcher Leichtigkeit diese zum Tragen kommt. Man muss von keinem Wein so wenig trinken um diesen spektakulären Effekt zu erreichen. Guigal’s Homöopathie!

 

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1988 E. Guigal Cote Rotie La Landonne zeigt sich mit äusserst elegantem Bouquet. Brombeeren, Cassis, Brotkruste, Teer, Stroh, Leder, Teebaumöl und Lakritze. Im Gaumen zärtlich fein, mittelschwer, blumig und elegant strukturiert mit wunderbarer Länge und Balance. 1988 E. Guigal Cote Rotie La Mouline mit röstigerer Nase. Brotkruste, etwas Speck, Marroni, Vanille. Mit der Zeit immer mehr beerige Aromen (Himbeeren, Cassis), danach mehr Gewürze (Pfeffer) und Blumen (Lavendel). Super konzentriert, elegant und seidenfein strukturiert. Endet „pfeffrig“, rauchig mit einem Touch Trüffel. 1988 Guigal Cote Rotie la Turque rundet die drei begnadeten Lagen aus dem möglicherweise grössten aller nördlichen Rhône Jahrgänge ab. Sattes rubin; Intensiv rauchiges Bouquet. Speck, Vanille, Toast. Dazwischen Griotte, Himbeeren und Asia Gewürze. Dicht und komplex im Gaumen, wunderbar harmonisch und atemberaubender Länge.

Während dieses Report überlegte ich mir, in welchem Märchen im am liebsten gelebt hätte. Ich entschied mich für Frau Holle. In meiner Phantasie stelle ich mich täglich unter ihr magisches Tor und lasse mich von Guigals LaLa’s überschütten.

 

2001 Abreu Vineyard Madrona Ranch Cabernet Sauvignon, Napa Valley  19.5+/20  trinken – 2050
2002 Shafer Vineyards Hillside Select Cabernet Sauvignon, Napa Valley (Magnum) 19.5+/20 trinken – 2060
2004 Abreu Vineyard Madrona Ranch Cabernet Sauvignon, Napa Valley   18.5+/20 2020 – 2050

 

 

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Als Gründungsmitglied der American Beauty, war für Marcel der finale Abstecher ins Napa Valley fast zwingend. 2001 Abreu Vineyard Madrona Ranch Cabernet Sauvignon zeigt sich mit defensiv schwarzbeeriger Aromatik. Eukalyptus, Teer, Russ und Peperoni. Super Barrique Einsatz und toller Balance. Aktuell in einer eher verschlossenen Phase und wird seine ganze Schönheit in fünf bis zehn Jahren zeigen. Auch ein Jahrzehnt von seiner Genussreife entfernt ist 2002 Shafer Vineyards Hillside Select Cabernet Sauvignon aus der Magnum. Ausufernd, schwarzbeeriges Bouquet. Viel Druck, fast ölige Textur, enormer Tiefgang und ein Volumen das seinesgleichen sucht. „Finger weg davon, Marcel! Das ist ein Wein zu Deiner Pension, es gibt ältere Shafer Jahrgänge, die jetzt ganz gut sein könnten…“ Ein Napa Baby ist 2004 Abreu Vineyard Madrona Ranch Cabernet Sauvignon. Voll primärfruchtig, laktisch mit prägnantem Holzeinsatz. Opulent, dicht im Gaumen mit beeindruckender Länge und Tiefgang.

Drei unglaubliche Weine mit Power und Potenzial! Diese Kraft und Energie wünsche ich auch Dir, lieber Marcel, für Deine nächsten 50 Jahre. Danke dass Du dieses Wein-Märchen zum Leben erweckt hast.

1 Kommentar

  1. Veröffentlicht von Leisi am 15. April 2015 um 8:14

    Die Metapher hat sich zwar aufgedrängt, die Umsetzung ist Dir lieber Baschi aber überdurchschnittlich gut, gar märchenhaft gelungen. Lesegenuss pur. 20 Punkte für den tollen Bericht!

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