20 Jahre später: Bordeaux 1995

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Eines Morgens im Jahre 1998 rief mich meine Frau an, es gebe im Pick Pay Mouton Rothschild 1995 für 125 Franken. „Ohne mich, die spinnen im Bordeaux“, war meine reflexartige Reaktion. Heute gibt es leider beides nicht mehr. Premiers zu diesen Preisen und Pick Pay… Immerhin blieb mir meine Frau und eine tolle 95er Degu – 20 Jahre später.

Nach den bescheidenen Jahren 1991, 92, 93 und 94 prophezeiten die Experten endlich wieder einen Spitzenjahrgang, auf den scheinbar alle sehnlichst gewartet haben. Zweifellos ist der Jahrgang gross. Der Witterungsverlauf mit viel Hitze vom Juni – August und nur leichtem Regen im September versprach einiges. Qualitativ wie quantitativ. Eine reiche Ernte wie 1989 oder 1990 wäre durchaus möglich gewesen. Doch neu festgelegte Maximalerträge sowie qualitätsbewusstere Winzer liess 1995 in eine andere Richtung gehen. Bordeaux wurde konzentrierter, moderner und „technischer“. Zudem schlug der Einfluss von Robert Parker bei den Fassverkostungen der 95er so richtig durch. Logisch ergaben all diese Faktoren hohe Preise. Im Vergleich zu den Vorgängerjahrgängen 91 – 94 verdoppelten sich die Subskriptionspreise auf einen Schlag.

In dieser Zeit verabschiedeten sich viele traditionelle Bordeaux-Kunden von den Premiers. Sie waren nicht mehr bereits mehr als eine Hunderternote für eine Flasche Lafite Rothschild, Latour oder Margaux zu bezahlen. Weine aus der „neuen Welt“ sprangen in die Lücke und sorgten für Furore. Der Markt war aber dem teuren Jahrgang sehr freundlich gestimmt. Dies motivierte die Chateaux im Folgejahr die Preise gleich nochmals um 50 – 100% anzuheben. Damit war 1996 der teuerste Jahrgang der Neunzigerjahre und wurde später erst wieder vom 2000er Milleniumshype getoppt. Bis heute haben die 95er Bordeaux eine Preissteigerung von rund 300% hingelegt. Und einmal mehr trauert man den verpassten Chancen nach. Hätte ich doch mein Schatz damals ins Pick Pay geschickt….

Ich empfinde den Jahrgang als langsam reifend. Vergleiche zu 70, 75, 86 und 88 sind passend. Oftmals erlebte ich 95er in den ersten 15 Jahren zugenagelt in einer langen reduktiven Phase. Generell lässt sich sagen, dass 1995 im ganzen Bordelais ein grosser Jahrgang gelang. 1996 war dagegen am rechten Ufer schwierig, dafür übertrafen die 96er Cabernets punktuell die 95er. Bei den Médoc Premiers werden alle Nachfolgejahrgänge bis 2004 (ausser 2000) nach meiner Einschätzung früher trinkreif sein. Die meisten 95er vom rechten Ufer sind es jetzt – und wie!

Doch wie steht es heute, nach zwei Jahrzehnten, um den Bordeaux Jahrgang 1995? Höchste Zeit für eine umfangreiche Standortbestimmung. Für diese Gelegenheit sorgte der Best Bottle Circle im Bellevoir Park Zürich. Gut 20 Spitzenweine präsentierten sie blind an dieser spannenden Probe. Beim Aufbau der Verkostung achteten sie nicht auf die Gebiete, sondern stellten die Serien intelligent anhand der erwarteten Trinkreife zusammen.

 

1995 Lynch Bages, Pauillac 18/20 trinken -2025
1995 Pichon Longueville Baron, Pauillac -/- Kork
1995 Léoville Poyferré, St. Julien 17.5+/20 trinken – 2030
1995 Clerc Milon, Pauillac 17+/20 trinken – 2030
1995 Cos d’Estournel, St. Estephe 18.5/20 trinken – 2025
1995 Pape Clement, Pessac-Leognan 18.5/20 trinken – 2030

 

Zugänglich, rund und schon recht harmonisch präsentierte sich im Startflight 1995 Lynch Bages. Süsses, reifes Bouquet. Im Gaumen bereits mit schöner Balance aber auch noch Reserven ausgestattet. Genau was man von diesem „Charmes-Pauillac“ erwartet. Leider korkte 1995 Pichon Baron. Daher gehen wir gleich weiter zum etwas zwiespältigen 1995 Léoville Poyferré. Purpur; Pflaumen, Cassis, Teebaumöl, Zedern und Kandis in der Nase. Im Gaumen zeigt er gute Substanz mit etwas aggressiven Tanninen. Aber auch reife Aromen nach Curry und Glutamat. Endet erdig und rustikal. Hat noch nicht zu seiner Bestform gefunden. Auch für 1995 Clerc Milon lohnen sich noch zwei, drei Jahre Lagerung. Granat; Defensives Bouquet. Blau- und schwarzbeerige Grundaromatik. Etwas Tee, Gewürze, Leder und Zedern. Ziemlich verschlossen aber mit klarem Potenzial nach oben. Clerc Milon verfügt meines Erachtens über eines der allerbesten Preis-/Genussverhältnisse im ganzen Bordelais.

2015 08 bx95 serie 1

1995 Cos d’Estournel überraschte mich postitiv. Der St. Estèphe Deuxieme zeigte sich lange Zeit karg und verschlossen. Heute brillierte er wie verwandelt, und erfüllte alle jahrelangen Erwartungen. Röstiges, extrovertiertes Bouquet. Kaffee, Mocca. Tiefe dunkebeerige Aromen. Elegant, geschliffen im Gaumen mit prächtigem Schmelz. Mehr davon! 95 und 96 Cos sind die letzten grossen Jahrgänge vor einer eher schwierigen Experimantalphase (1997 – 2000). Danach erfand der junge Prats Cos d’Estournel praktisch neu. Der Supersecond wurde viel konzentrierter, moderner, höher bewertet und (logisch…) teurer.

Auch 1995 Pape Clement sprang förmlich aus dem Glas, als wolle er der ganzen Weinwelt mitteilen, dass er genau nach 20 Jahren bereit ist für den Genuss. Granat; Offenes, pflaumiges Bouquet. Schöner Holzeinsatz, etwas Tabak. Sehr bekömmlich und rund im Gaumen. Ein eleganter Pape, der etwas weniger konzentriert ist, als die Jahrgänge ab 1998. Ähnelt seinem eigenen 90er.

 

1995 Grand Puy Lacoste, Pauillac 18.5+/20 trinken – 2030
1995 Ducru Beaucaillou, St. Julien 17.5+/20 trinken – 2035
1995 La Mission Haut Brion, Pessac-Leognan 18.5+/20 trinken – 2030
1995 Léoville Barton, St. Julien -/- Kork
1995 Ausone, St. Emilion 18/20 trinken – 2030

 

Hervorragend gefiel mir 1995 Grand Puy Lacoste. Nach wie vor dunkle Farbe (Rubin), Rauch, Tabak, Vanille, Tannenäste und etwas Teebaumöl. Darunter ein Schwall von Brombeeren und Cassis. Sehr kompakter, dichter Gaumen und bringt die Aromen toll in die Tiefe. Bereitet viel Freude jetzt und Vorfreude auf die wirklich reife Phase. Dann geht’s Richtung 1990! Das macht Lust auf unser Grand Puy Lacoste Dinner bei Raphael Tuor in Luzern.

2015 08 bx95 serie 2

1995 Ducru Beaucaillou habe ich nach der schlimmen 80er Phase und der schwachen Anfangs Neunziger Jahre mit hohen Erwartungen gekauft. Heute zeigte er sich noch nicht dort, wo ich ihn gerne hätte. Würzig, verschlossenes Bouquet. Etwas Pflaumen, Kirschen, Tabak. Im Gaumen recht breitschultrig, Reife suchend. Verspricht nach wie vor viel. Die defensive Wertung soll keine Abstufung sein, sondern zeigt, was man von ihm aktuell bekommt. Also bitte Geduld mit diesem „Marathon Ducru“ Toll erlebte ich 1995 La Mission Haut Brion. Er spricht spontan an, zeigt jugendlich, laktsches Bouquet. Milchkaffe, etwas Stroh, Schoko und Gewürze. Harmoniert schön im Gaumen und zeigt bei mittlerer Intensität eine tolle Länge. Leider bockte 1995 Léoville Barton (leicht fehlerhaft evt. etwas Kork). Beim letzten Kontakt (März 2015) bewertete ich ihn mit 17.5+/20 tr – 2030.

Da es um Trinkreife und nicht Gebietseinteilung ging, passte der der noble 1995 Ausone als St. Emilion Gast in diese Serie. Grant; Süsses, reifes Bouquet. Kirschen, Jod, Brennnesseln und Schoko. Im Gaumen ist er noch nicht soweit, und wirkt etwas kernig ungehobelt. Wenn mal alles harmoniert, liegt noch einiges drin.

 

1995 Angelus, St. Emilion 19/20 trinken – 2030
1995 Petrus, Pomerol 18/20 trinken – 2030
1995 Pichon Comtesse de Lalande, Pauillac 18/20 trinken – 2025
1995 L’Evangile, Pomerol -/- fehlerhaft
1995 Cheval Blanc, St. Emilion 19/20 trinken – 2020

 

Ein ganz sicherer Wert und über Jahre mit hohem Genussfaktor ausgestattet ist 1995 Angelus. Mit dunklem Granat zeigt er farblich die perfekte Entwicklung. Im Gaumen spielen pflaumige Aromen die erste Geige. Dazu etwas Malz, Orangeade, Mocca. Geschmeidig mild, elegant und mit toller Länge ausgestattet. Ein absolut finessenreiche, filigranen Angelus. Weniger weit entwickelt ist dagegen 1995 Petrus. Mit aufhellendem Purpur wirkt er zwar reif im Bouquet (Dunkle Kirschen, Pflaumen, Rosinen, Pfeffer, Schoko). Im Gaumen aber nach wie vor sehr jung, mit kernigen Tanninen und ziemlich ungestümer Kraft. Man spürt förmlich was in ihm steckt. Ich empfehle, die nächsten 30 Jahre lang, jeden Monat eine Flasche zu probieren um die weitere Entwicklung genau zu verfolgen….

2015 08 bx95 serie 3

Nichts gegen einen solchen Trinkintervall einzuwenden hätte ich beim geschmeidig-schmusigen 1995 Pichon Comtesse de Lalande. Rösig, portig, reifes Bouquet. Etwas Kandis und Caramel sowie die typisch grüne Peperoni-Note. Mittelschwer, elegant im Gaumen. Bereits jetzt auf dem Punkt!

Nebst Angelus schwang eine weitere St. Emilion Legende oben auf. 1995 Cheval Blanc. Auch dieser Wein beweist, wie homogen der Jahrgang über das ganze Bordelais verteilt war. Sie reifen schneller als ihre linken Cabernet Kollegen und bieten zurzeit phänomenalen Trinkgenuss. Mollig, süsses Bouquet. Fast burgundisch rotbeerig. Etwas Mocca, Vanille, Minze und Praline. Filigran, zärtlicher Körper. Enorm harmonisch und elegant. Die Kraft fehlt für ein langes Leben. Aber was dieser delikate Cheval Blanc jetzt bietet ist fabelhaft und ähnelt seinem 85er.

 

1995 Chateau Margaux, Margaux 19+/20 2020 – 2040
1995 Mouton Rothschild, Pauillac 18.5+/20 2020 – 2045
1995 Latour, Pauillac 18.5+/20 2020 – 2045
1995 Haut Brion, Pessac-Leognan 18.5+/20 2020 – 2045
1995 Lafite Rothschild, Pauillac 18.5+/20 2020 – 2045

 

Im finalen Königsgang kam es zum Kampf der grossen Cabernet Premiers. Das Fazit zu dieser letzten Serie ist klar. Ich würde, wenn ich hätte (aber Sie wissen ja inzwischen, dass ich meine Frau damals nicht ins Pick Pay schickte….) alle Premiers noch fünf bis zehn Jahre in der Kiste lassen. Sie zeigen viel Stoff, dunkle Farben, gesundes Tannine und magistralen Tiefgang. Grossartig, mit delikater pflaumig – obstiger Nase (Trester) kam 1995 Chateau Margaux daher. Im Gaumen zupackend, jung, kräftig und sehr füllig. Zeigt wenig Zugang aber enormes Potential. Genau wie 1995 Mouton Rothschild. Röstig, dunkelbeeriges Bouquet. Deutlich introvertierter als der Nachfolge Mouton 96. Dafür bulliger, kräftiger. Geht intensiv in die Tiefe. Es ist alles vorhanden und braucht viel Zeit. „The untouchable Mouton“ scheint sich an seinem eigenen 86er zu orientieren. Mouton scheint in diesem Jahr sogar kräftier als 1995 Latour. Auch bei ihm stellt sich die Frage nach der Trinkreife. Es wird ähnlich sein wie beim Mouton. Das Bouquet ist noch fast primärfruchtig. Dunkle Beeren, Nuss, Mocca, Zeder, etwas Stroh und Kalk. Dicht komprimierter Körper mit grossartiger Länge.

Ein dankbarer Wein zum erkennen (Blindprobe) war in diesem Flight 1995 Haut Brion, mit seiner typischen animalischen Art. Viel Tabak, Leder und Holz im Bouquet. Die Frucht ist aktuell unterdrückt. Auch im Gaumen scheint er nach wie vor in einer reduktiven Phase. Ein Haut Brion für ganz Geduldige.

1995 Lafite Rothschild wirkt in dieser jungen Phase fast etwas opulent in der Nase. Röstige Aromen, Kaffee Mocca, edles Creme Cassis, etwas Pfeffer. Wie immer im Auftakt schlanker, süsser im Vergleich zu seinen Premier Kumpanen, macht dies aber mit bereits spürbarer Eleganz und toller Länge wieder wett.

2015 08 bx95 serie 4

Diese Serie wünsche ich mir nochmals in 10 Jahren. Ich hoffe, die drei Jungs vom Best Bottle Circle mit ihrem sympathischen Konzept organisieren dann immer noch solch spannende Proben. Herzlichen Dank für euer Engagement, René, Marcello und Nils. Nächstes Jahr steht übrigens die gleiche Verkostung mit dem Bordeaux Jahrgang 1996 an. Details dazu sowie die Publikumswertung dieses Events finden Sie wie immer auf BestBottle.ch.

 

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Stefan Hruby am 11. Januar 2023 um 22:18

    Vielen Dank , macht Spaß zu lesen und obwohl ich nicht annähernd an diese Kenntnis rankomme macht es Spaß auf mehr .
    Danke

  2. Veröffentlicht von Friedrich Jean-Michel am 14. Oktober 2018 um 8:14

    Sehr interessanter Kommentar zu dieser tollen Probe.
    Sehr informativ!
    Danke

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