Napa Valley Diamonds: And it tastes so fucking good!

Mein Geruchs- und Geschmackssinn war temporär beeinträchtigt. Zum Glück hatte mein Weinfreund Lukas Schneider diesen fantastischen Abend in seiner süffisanten Art festgehalten.

«I love how wine continues to evolve, how every time I open a bottle it’s going to taste different than if I had opened it on any other day. Because a bottle of wine is actually alive – it’s constantly evolving and gaining complexity. That is, until it peaks – like your ’61 – and begins its steady, inevitable decline. And it tastes so fucking good.» (Maya in Sideways, 2004)

Keine Idee, wie du deinen Text beginnen sollst? Nimm ein Zitat. Alte Journalistenweisheit. Sideways, einer meiner Lieblingsfilme! Und das Zitat passt doch: «And it tastes so fucking good.» Das stelle ich über diese wunderbare Weinprobe, die Napa Valley Diamonds beim grossartigen Franz Wiget. Fünf Flights, eine Spannbreite von 1968 bis 2007. Und ein sogenannter Begleitwein, der irgendwie der heimliche Star des Abends war…

Weine sind Zeitkapseln. Horcht man in sie hinein, haben sie eine Menge zu erzählen. Über die Menschen, die sie gemacht haben. Die Zeit, in der sie entstanden sind. Über Märkte und Marktbedürfnisse. Über Erfolge und Misserfolge. Moden, Trends und Beständigkeit. Den Klimawandel. Darüber, dass Weine – und hier komme ich zum Zitat zurück -, wenn sie einmal auf der Flasche sind, ein Eigenleben entwickeln. Welches sich erst Jahre, manchmal Jahrzehnte später offenbart. Nämlich dann, wenn die Flasche geöffnet wird. Kennt ihr, oder? Dieses leicht zittrige Gefühl, irgendwas zwischen Vorfreude und leichter Angst, wenn man einen legendären (sprich: meist auch sauteuren, raren und kaum mehr auffindbaren und schon gar nicht ersetzbaren) Wein öffnet. Und dann erleichtert feststellen kann: perfekt.

À propos perfekt: Perfekt, in einem Fall mit ein wenig Anlauf, war der erste Flight: 1968, 1974 und 1975. Ziemlich reif, aber eben auf eine schöne Art, mit seinen portigen Noten der 68er Beaulieu. In Würde gealtert, ohne das Alter zu verstecken; fast Belmondo-esk! Eine kleine Schrecksekunde bescherte der 74er Ridge, der ziemlich unsauber ins Glas kam, dann aber wunderbar aufblühte – er kam nicht ganz ans Niveau von 2018 (The Old Faithful) heran, wo ich ihn mit 100 Punkten bewertet hatte, aber eine wunderschöne Flasche wars allemal! Die Kraft, die dieser etwas ungekämmte Kerl noch immer ins Glas bringt, ist unglaublich. Ganz anders der Simi, der es nicht mit Kraft und Stoff, sondern schon fast tänzerischer Leichtigkeit macht. Beides, Kraft und Eleganz vereint der Chappellet – und schier umgehauen hat mich der Eisele mit seinen mineralischen Noten.

Beaulieu Vineyard Cabernet Sauvignon Georges de Latour Private Reserve196892
Ridge Cabernet Sauvignon Monte Bello197494
Simi Cabernet Sauvignon Reserve Alexander Valley197493
Chappellet Cabernet Sauvignon197596
Joseph Phelps Cabernet Sauvignon Eisele Vineyard197597

Was würdet ihr wählen, dürftet ihr für den Rest eures Lebens nur noch einen einzigen Jahrgang trinken? Abgesehen davon, dass dies eine recht gemeine Sache wäre: Es könnte sehr gut sein, dass ich mich für 1994 in Kalifornien entscheiden würde. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert reift das in grösster Harmonie glücklicherweise sehr, sehr langsam vor sich hin. Achim hat’s auf den Punkt gebracht, und besser könnte ich es nicht formulieren – nicht nur ein Jahrhundertjahrgang, sondern eben auch ein «Scharnierjahrgang», der die «alte» und die modernere (extraktreichere, alkoholstärkere, auf reifere Frucht getrimmte) Machart vereint. Vielleicht ist es genau das, was einen Wein zum Monument macht: Wenn er das an sich Unmögliche fertigbringt, nämlich kraftvoll und elegant gleichzeitig zu sein.

Das Paradebeispiel für dieses Paradoxon ist der Harlan. Nicht der lauteste, aber der tiefgründigste. Nicht nur in diesem Flight, sondern über den ganzen Abend. Dominus und Insignia: zwei Kalifornier mit französischem Akzent, das Beste aus zwei Welten. Unverkennbar Bryant Family, mit dem so typischen, fein grünen Touch, der an frisch geschnittene Äste erinnert. Und mit Diamond Lake war ein wahrer Charakterkopf dabei. Traumhaft, diese satte Mineralität, die schon fast in Richtung erkalteter Lava geht.

Bryant Family Vineyard Cabernet Sauvignon199496
Diamond Creek Cabernet Sauvignon Lake199495
Dominus Estate199497
Harlan Estate1994100
Joseph Phelps Insignia199497

Kurz, bevor Pandemie-bedingt nicht mehr viel ging, wurde getanzt. Tango nämlich. Anfang 2020, mit den Jahrgängen 2001 und 2002. Getanzt wurde wieder, nicht miteinander, sondern nebeneinander. Der Eindruck bleibt der gleiche wie damals. Von unfassbarer Struktur, dicht und Kraft die 2001er. Strukturmonster eben! Wobei man sich da nicht täuschen sollte. Zu viel Struktur kann ein Problem sein, wenn die Frucht nach und nach abschleicht und nur noch Struktur bleibt. Was hier nicht passieren wird. Denn Frucht ist da reichlich vorhanden. Das reift in perfekter Balance. Zugänglicher, aber nicht minder schön die 2002er. Halt einfach eine Frage der Präferenz (wie gut, wenn einen beides begeistert!).

Unter dem Strich haben mir die 2001er an diesem Abend etwas besser gefallen. Was wohl auch daran liegt, dass mit dem 2002er Shafer Hillside Select ein sehr deutlich oxidierter und mit dem 2002er Lokoya Mt. Veeder ein ebenfalls ziemlich reif wirkender Vertreter des Jahrgangs am Start waren (wobei der Lokoya am Gaumen immerhin noch einen gewissen Charme entwickelte). Gleiches gilt in gewisser Weise auch für den Solari, der zwischen Frucht und feinen oxidativen Noten oszillierte; vielleicht einfach eine schizophrene Phase. Alles überstrahlt haben der schlicht perfekte 2001er Abreu Madrona (so viel Druck, dabei beinahe zeitlos, fast laktisch noch, wunderbar würzig und feinfruchtig) und der nicht minder dichte, kraftvolle, würzige 2001 Bond St. Eden.

Abreu Cabernet Sauvignon Madrona Ranch2001100
Bond St. Eden200198
Dalla Valle Maya200197
Pride Mountain Vineyards Cabernet Sauvignon Reserve200195
Robert Mondavi Winery Cabernet Sauvignon To-Kalon Vineyard200195
Araujo Estate Cabernet Sauvignon Eisele Vineyard200296
Colgin Cabernet Sauvignon Tychson Hill Vineyard200297
Larkmead Vineyards Cabernet Sauvignon Solari (Reserve)200294
Lokoya Cabernet Sauvignon Mt. Veeder200293
Shafer Cabernet Sauvignon Hillside Select2002n.a.

Es gibt Weine, die springen dir ins Gesicht. Und solche, die man geradezu entdecken muss. Screaming Eagle und Scarecrow gehören zu zweiterer Kategorie. Da lohnt es sich, ja ist eigentlich schon fast ein Muss, sind ein paar Minuten abzukapseln und egoistisch-selbstvergessen ins Glas zu starren. Denn das sind Weine, die sich schon fast entziehen. Beide haben eine tiefgründige Faszination, die nur schwer in Worte zu fassen ist. Ein bisschen wie die Mona Lisa (so richtig verstehe ich ehrlich gesagt nicht, wieso das Bild so dermassen berühmt ist und sich die Touristenscharen die Nase sekundenweise plattdrücken. Aber dann ist da dieses Lächeln. Als wäre da eine weitere, verborgene Ebene. Muss daran liegen, die Berühmtheit…). Aber wieso dann «nur» 98 Punkte? Ganz einfach. Das ist eigentlich noch viel zu jung. Die 100 kommen dann schon…

Andy Beckstoffer muss man nicht unbedingt sympa finden, den Schrader CSS fand ich sensationell. Mit Futo und Sloan waren schliesslich quasi zwei Gegenentwürfe zu Vogelscheuche und Adler in diesem letzten Flight. Nicht denken, geniessen!

Schrader Cellars Cabernet Sauvignon CCS Beckstoffer To-Kalon Vineyard200598
Screaming Eagle Cabernet Sauvignon200598
Futo Oakville200796
Scarecrow Cabernet Sauvignon200798
Sloan200796

Da war doch noch was. Genau – der «Begleitwein». Heitz Martha’s 1986, in der Doppelmagnum (Flasche 3/3, um genau zu sein – what a treat!). Wie schon geschrieben mein heimlicher Start des Abends. So dermassen Heitz! Ein bisschen fassig-unsauber zu Beginn, bevor sich das hässliche Heitzlein zum wunderbaren Schwan entwickelte. Und alles mitbrachte, was ein ordentlicher Martha’s braucht: Eukalyptus, Eukalyptus, Eukalyptus!

Heitz Cellar Cabernet Sauvignon Martha’s Vineyard (DMG)198697

And it tastes so fucking good…

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Luciano Pelloni am 20. September 2021 um 9:43

    Es liest sich für mich, wie wenn ich dabei war….Bravo Lukas, und ich danke Dir und Baschi, dass ich wenigstens auf diese Art mitgeniessen kann.
    Herzlichst, Luciano

  2. Veröffentlicht von Sven FISCHER am 19. September 2021 um 8:14

    Lieber Lukas
    Phantastisch, dein Kommentar. Mann merkt, du bist ein Meister der Sprache. Du bringst die Probe auf den Punkt. Es war berührend, aufwühlend und kulinarisch exorbitant. Wir sind fast schon eine verschworene, verrückte Weinrunde und Baschi ( unser Grossmeister) findet immer eine Lösung. Möge sein feines degustatorisches Können schnell rehabilitieren!
    Hut ab Lukas und bis zum Samstag!!
    Herzlich Sven

Hinterlassen Sie einen Kommentar